Nach einem schweren Unfall ist der erste Schock groß. Besonders ärgerlich wird es, wenn die gegnerische Versicherung verweigert, das eigene Fahrzeug zu reparieren – obwohl es technisch eigentlich noch fahrbereit wäre.
In solchen Fällen ist häufig von einem wirtschaftlichen Totalschaden die Rede. Doch im Rahmen der sogenannten 130‑Prozent‑Regel bietet sich unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, das beschädigte Auto dennoch reparieren zu lassen. Autofahrer, die diese Regel kennen, können im Ernstfall klüger entscheiden.
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Was gilt als wirtschaftlicher Totalschaden?
Generell wird von einem wirtschaftlichen Totalschaden gesprochen, wenn die geschätzten Reparaturkosten höher ausfallen als der Wiederbeschaffungswert.
Der Wiederbeschaffungswert beschreibt wiederum, wie viel ein vergleichbares Fahrzeug auf dem aktuellen Gebrauchtwagenmarkt aktuell kostet – inklusive Nebenkosten für Anmeldung oder Überführung. Abgezogen wird davon der Restwert, also das, was das beschädigte Fahrzeug noch wert ist. Die Differenz entspricht in der Regel der Leistung der Versicherung.
Eine objektive Einschätzung liefert genau diese Werte. Ein professionelles KFZ-Gutachten sollte demnach der erste Schritt sein, um zu klären, ob sich eine Reparatur wirtschaftlich überhaupt lohnt.
Die 130‑Prozent‑Regel im Überblick
Diese 130-Prozent-Regel besagt: Wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um weniger als 30 Prozent übersteigen, kann das Fahrzeug trotzdem repariert werden.
Dafür müssen jedoch vier Voraussetzungen erfüllt sein:
- Die Reparaturkosten liegen unter der 130-Prozent-Grenze.
Beispiel: Bei einem Wiederbeschaffungswert von 6.000 Euro dürfen die Reparaturkosten maximal 7.800 Euro betragen. - Die Reparatur wird fachgerecht und vollständig durchgeführt.
Entscheidend ist, dass alle Maßnahmen laut dem Gutachten umgesetzt werden. Damit sind Eigenleistungen oder Teilsanierungen ausgeschlossen. - Das Fahrzeug wird mindestens sechs Monate weiter genutzt.
Die sogenannte Weiternutzungspflicht schützt vor einem direkten Weiterverkauf des Fahrzeugs. - Es handelt sich um einen Haftpflichtschaden.
Die Regel gilt generell nur bei unverschuldeten Unfällen. Bei einem Kaskoschaden greifen andere Vorgaben.
Diese Punkte müssen erfüllt und nachgewiesen werden. Möglich ist dies zum Beispiel in Form von Werkstattrechnungen und Versicherungsbestätigungen. Ohne diese Nachweise kann die Versicherung die Zahlung verweigern.
In welchen Fällen ist die Regelung interessant?
Besonders relevant ist die 130‑Prozent‑Regel für Halter:innen von Fahrzeugen, deren Marktwert niedrig ausfällt, der Zustand jedoch noch sehr gut ist. Auch eine emotionale oder funktionale Bindung, zum Beispiel bei umgebauten Fahrzeugen oder seltenen Modellen, spielt oft eine Rolle.
In Regionen mit einem eingeschränkten Angebot an infrage kommenden Ersatzfahrzeugen, zeigt sich die Beschaffung von Ersatz außerdem oft schwierig oder zumindest sehr zeitintensiv. Viele Fahrzeugbesitzer:innen ziehen aus diesen Gründen eine fachgerechte Reparatur vor.
Typische Streitpunkte und Handlungsempfehlungen
Unklarheiten entstehen bei dem Thema besonders häufig, wenn es um die Einschätzung des Restwerts oder die Frage, ob die Reparatur wirklich vollständig erfolgt ist, geht. Auch im Bereich des Gutachtens besteht Spielraum. Wer auf ein zweites, unabhängiges Gutachten setzt, kann seine Position gegenüber der Versicherung stärken.
Grundsätzlich gilt, dass in einer solchen Situation keine voreiligen Entscheidungen getroffen werden sollten. Ein zu früher Verkauf oder eine unvollständige Reparatur führt unter Umständen zum Verlust der Versicherungsleistung.
Regeln kennen heißt Chancen nutzen
Bei der 130‑Prozent‑Regel handelt es sich also um keinen Automatismus. Sie ist als ein Instrument mit klaren Rahmenbedingungen zu verstehen.
Wird sie richtig angewendet, vermeidet sie im Ernstfall finanzielle Nachteile und sorgt dafür, dass das eigene Fahrzeug weiter genutzt werden kann.
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